Beziehungskisten

Wohl weil der Film in einem atemberaubenden Tempo abläuft, unglaublich effektiv geschnitten wurde und die Jagd im Mittelpunkt steht, entgehen einem Betrachter vielleicht gewisse Beziehungen zwischen den Handelnden, die sich erst nach mehrmaligem Ansehen erschließen.


Die Cops sind eigentlich gar nicht so böse. Sie haben K nichts vorzuwerfen, ausser, daß er ein bißchen schnell unterwegs ist. Sie tun ihre Pflicht, indem sie ihm hinterherfahren und hoffen, daß er möglischst bald im nächsten Bundesstaat und damit aus ihrem Zuständigkeitsbereich verschwunden ist. Wenn nur dieser verbissene Streber nicht wäre: Charlie, der jüngere der beiden Nevada Highway Patrol Cops. Der haßt K nun wirklich. K verletzt wohl seinen Stolz, weil jener frei und Charlie dazu verdammt ist, den ganzen Tag irgendwo in der Wüste Nevadas am Straßenrand rumzulungern und auf Verkehrssünder zu lauern. Und dann kommt K, sein personifiziertes Feindbild. Charlie verstößt mehrfach gegen eindeutige Befehle, die er über Funk erhält, wird durch den Challenger von der Straße gedrängt, hetzt die Männer auf, Radio KOW zu überfallen, schägt Super zusammen, sitzt im Hubschrauber, der K in der Wüste sucht, wartet natürlich auch in Cisco an der letzten Sperre. Alles nur, um K zu stellen. Als dieser dann an der Sperre sein Leben gelassen hat, schlendert Charlie Kaugummi kauend umher und ich frage mich: Fühlt er Befriedigung, weil er seinen gekränkten Stolz wiederhergestellt, oder Leere, weil er etwas völlig Sinnloses getan hat? Für mich ist Charlie der direkte Gegenspieler Kowalskis.

Sein älterer Kollege ist einfach nur müde. Er tut nur seine Pflicht, steht in der Shell Tankstelle und blickt resigniert dem vorbeifliegenden Hubschrauber nach. Mögen andere doch diesen erstaunlichen Kowalski jagen!


Die namenlose Motorradfahrerin in der Wüste. Nennen wir sie Gilda. Sie trifft völlig unverhofft und aus heiterem Himmel ihr Idol, ergreift die Chance und bietet sich ihm an. Dieser lehnt natürlich ab, denn er ist ja der moralisch makellose Held. Eine Minute später erkennt er, welche Bedeutung er für Gilda spielt. Aber zu spät, die Situation ist verfahren, keine Chance mehr auf ein Happy End mit glücklicher Gilda und beendeter Pechsträhne, auf ein sinnerfülltes Leben.

Oder steckte Vera ihm noch zu tief in den Knochen? Fühlt er sich auf ewig schuldig, weil er sie nicht daran gehindert hat, im Winter zu surfen? Ist er überhaupt nur auf der Flucht vor den Schatten aus seiner Vergangenheit; Unfällen und Verlusten?

Eine andere Deutung ist folgende: In der Geschichte trifft Kowalski ja zuerst auf Gilda und danach auf die Anhalterin, die als Sinnbild des Todes betrachtet wird. Und wirklich: Gilda Texter, blond, nackt, lebensbejahend, versus Charlotte Rampling, geheimnisvoll, düster. Und was macht Kowalski? Lehnt das Leben ab und läßt sich mit dem Tod ein. Nach dieser Theorie hatte er in dem Augenblick verspielt, als Charlotte bei ihm einstieg. Beide Seiten waren verführerisch. Er hatte die Wahl. 


Ein ebenfalls kurzer, aber intensiver Moment ist der Abschied vom Schlangenfänger. Mir drängt sich das Gefühl auf, daß K seinem Vater gegenübersteht. Die beiden haben etwas gemeinsam, sie leben ihr Leben - oberflächlich betrachtet - mit einer gewissen Freiheit: K im permanenten Geschwindigkeitsrausch auf den unendlichen Geraden durch den amerikansichen Südwesten und der Schlangenfänger im Frieden mit sich selbst und inmitten seiner geliebten Wüste. Ihre Wege kreuzen sich im Nirgendwo wie die Reifenspuren von Kowalskis Challenger. Der Schlangenfänger sieht einer ungewissen Zukunft entgegen, weil Reverend J. Hova (sprich: JeHova) seine Schlangen nicht mehr braucht und was mit K passiert, wissen wir ja.