Dieser Artikel ist wegen des relativ frühen Erscheinens eine der wichtigsten Quellen. Ich neige darum dazu, diesem Artikel zu glauben. In späteren Interviews und dem Kommentar-Track der DVD und Blu-Ray werden teilweise widersprüchliche Angaben gemacht.

Autor: Paul Zazarine
Copyright-Vermerk von Al Genard (Die Kowalski-Pages): "Reprinted with permission from Muscle Car Review Magazine March 1986", Anmerkungen des Übersetzers in Klammern

Kowalskis letzte Fahrt 

Für Kinogänger, die gleichermaßen Autoliebhaber sind, stechen ein paar "Road Movies" aus den üblichen Kinoangeboten hervor. Der wahrscheinlich bekannteste ist der Kassenschlager und zugleich kritische "Bullitt". Während die Handlung von Bullitt etwas dünn war, gab es dennoch Steve McQueen und jene aufregende Verfolgungsjagd durch San Francisco. Gleichermaßen populär ist heute der 1971er Kultstreifen Vanishing Point (Fluchtpunkt San Francisco, Grenzpunkt Null).
 
Vanishing Point war mehr als nur ein Autorennfilm, obwohl die Message, die er jenseits der explosiven Fotografie und der schnellen Musik zum Zeitpunkt der Veröffentlichung transportierte, nicht voll anerkannt wurde. Über die Jahre ist er im Gedächtnis derjenigen Kinogänger haften geblieben, die gleichzeitig auch eine Vorliebe für starke Autos haben. Vanishing Point hatte einen unterbewußten Effekt auf die Betrachter und seine Wirkung hielt lange nach dem Sehen an.
 
Fünfzehn Jahre nach seinem Erscheinen sind viele immer noch von den Stars, der Handlung und natürlich den Autos fasziniert. Über die Jahre haben sich viele Mythen um Vanishing Point gesponnen. Seit wir in der März Ausgabe des Car Review 1984 eine triviale Frage zu Vanishing Point brachten, erhielten wir eine Menge Briefe und Telefonanrufe, die sich auf widersprechende Details zum Film und den Autos bezogen. Was als vorübergehende triviale Frage begann, verwandelte sich in die Flutwelle einer Vanishing Point Manie.


Wir hatten wirklich einen Nerv berührt. Um daher einer Menge falscher Informationen ein Ende zu bereiten, redeten wir mit einigen Vanishing Point Experten. Das führte nur dazu, die Geschichte weiter zu vernebeln. Darum kurbelten wir das Telefon an, versichertem dem Chef, daß es für einen gerechtfertigten Grund sei und telefonierten mit Hollywood. Wir arrangierten zwei Interviews; eines mit dem Vanishing Point Stuntkoordinator Carey Loftin und das andere mit Barry Newman, der die Rolle von Kowalski spielte. Was wir von ihnen erfuhren, unterstützte einige Geschichten, während andere sich in Schall und Rauch auflösten.

Carey Loftin hat Stunts in vielen Filmen, einschließlich "On the Beach", "Eine total, total verrückte Welt" und "Grand Prix" koordiniert und ausgeführt. Viele werden sich an die Straßenrennszene in dem aktuellen Film "Against all Odds" (Gegen alle Chancen) erinnern, mit der Loftin einen Academy Award gewann. Newman ist voller Lob für Loftin: "Carey ist der größte Stuntfahrer, der je gelebt hat. Ich machte ein paar der kleineren Stunts, aber Carey hat die großen organisiert und ausgeführt. Er hat sie wirklich schön aufgesetzt und hat mich großartig aussehen lassen." Loftin arbeitet gegenwärtig an einer Verfolgungsjagdszene für den Film "Running Scared" auf den Hochbahnschienen von Chicago.
 
Einer der kontroversesten Punkte kreiste um den 1970er Dodge Challenger, der in Vanishing Point benutzt wurde. Carey erinnert sich daran, daß er extra Challenger anforderte "wegen der Qualität ihrer Drehstabfederung und der Pferdestärken. Es war ein wirklich robustes, gut laufendes Auto." Chrysler lieh unter der Berücksichtigung von Promotioneffekten fünf alpinweiße Challenger an Cupid Production aus und diese wurden nach Abschluß der Dreharbeiten zurückgegeben.


Die Ausstattung der Autos war unter den Vanishing Point Fans ein kontroverser Punkt. "Es gab fünf Autos." sagte Loftin. "Die Nummer fünf, die wir nie benutzten, war ein Automatik und hatte den 383er. Der Rest hatte die 440er. Alle 440er hatten Viergangschaltung und Vierkanalvergaser." Spekulationen, daß Hemis (Zylinder mit halbkugelförmigen Köpfen) oder Six-Pack (Sechskanalvergaser) Challenger benutzt wurden, wurden von Newman und Loftin zerstreut. Die Autos arbeiteten zu Loftins Zufriedenheit, obwohl Staub zu einem Problem wurde. Keiner der Motoren wurde zerstört und Loftin erinnert sich, daß kein spezielles Equipment angebaut und keine Modifikationen an den Autos vorgenommen wurden, außer vier verstärkten Stoßdämpfern für das Auto, welches über No Name Creek sprang. Keinerlei Versteifungen oder Rahmenschleifen wurden in einem der Challenger angewendet.
 
Newman erinnert sich, daß die Challenger für den Film von Max Balchowsky geschraubt wurden, der auch die Mustangs und Charger für Bullitt vorbereitet hatte. "Max war wie ein Chirurg. Es war erstaunlich. Er nahm Teile aus dem einen, um einen anderen zum Laufen zu bringen, weil wir einige dieser Autos mit Sprüngen von Highway zu Highway und über Bäche ruinierten." Newman stimmt mit Loftins Erinnerungen über die Autos überein. "Ich erinnere mich, daß die Autos 440er Maschinen und enorme Power hatten. Es war fast so als ob sie zu viel Leistung für die Karosserie hatten. Du hast den ersten eingelegt und es wollte sich schier aufbäumen! Sie hatten Viergangschaltung und es gab auch ein Automatikauto. Das war ein 383er. Ich denke wir benutzten dieses als Kameraauto auf den geraden Strecken."


Ein Unterschied zwischen den Aufnahmen zu Bullitt und Vanishing Point war die Geschwindigkeit - oder der Eindruck von Geschwindigkeit. Als der Mustang und der Charger durch die Straßen von San Franzisko jagten, bewegten sie sich mit der wirklichen Geschwindigkeit. Für Vanishing Point wurden Zeitrafferaufnahmen gemacht. Folglich, wie Loftin erzählt, "war die Spitzengeschwindigkeit höchstens 100 - 110 mph (160 - 180 km/h). Wir hatten eine recht niedrige Endübersetzung und um den Eindruck von Geschwindigkeit zu erreichen, ließen wir die Kameras im Zeitraffer laufen. Wenn Leute gehen, kann es wirklich verrückt aussehen, aber draußen in der Wüste sieht es wirklich aus, als ob das Auto fliegt. Für die Szenen mit dem Jaguar zum Beispiel, ließen wir die Kameras mit halber Geschwindigkeit laufen. Die Autos fuhren ungefähr 50 mph (80 km/h), aber bei der richtigen Kamerageschwindigkeit würde es viel schneller aussehen."
 
Newman erinnert sich daran, daß er ein bisschen langsamer fuhr. "Es war mehr wie 80 - 90 (130 - 150 km/h). Was passiert, wenn du ein Auto von der Seite aufnimmst; du kannst mit 30 mph vorbeifahren, aber es sieht aus als wenn du 20 fährst. Die Perspektive ist weg. Also bei den Einstellungen wo ich aussehe, als wenn ich 150 fahre, waren wir überhaupt nicht so schnell."


Wir fragten Loftin, wie gut Newman den Challenger während der Dreharbeiten fuhr. "Er lernte es so schnell, daß ich es nicht glauben konnte.“ lachte Loftin. „Ich werde euch ein Ding erzählen, das Barry machte. Die Szene vor dem Crash, wo er kommt und eine 180er Wendung auf der Straße macht und wieder zurückfährt; das hat er selbst gemacht. Der Regisseur hat das nicht mitgekriegt. Als Barry den Stunt machte, stand ich hinter dem Kameramann und sagte 'Er ist ein guter Zuhörer und Schüler'. Sarafian dachte, ich wäre das. Ich sagte ihm Newman müsse etwas tun. Barry hat großartige Arbeit geleistet.“
 
Das Fahren durch die Wüste war nicht nur Spaß, wie Newman sagt. „Wir hatten enorme Verkehrssteuerung, trotzdem bin ich einmal fast in Schwierigkeiten gekommen. Sie blockierten die Straße in fünf Meilen Entfernung um den Verkehr fernzuhalten, während wir die Aufnahmen machten. Einer der Challenger wurde als Kameraauto benutzt. Dieser Challenger war mit drei Kameras bestückt. Eine war auf der Motorhaube montiert und blickte durch die Windschutzscheibe auf den Fahrer. Eine weitere Kamera war an der Stoßstange montiert und blickte voraus auf die weißen Streifen. Eine dritte Kamera war an der hinteren Stoßstange. Das Kameraauto hatte auch enorme Mengen Licht an Bord. Die Lichter waren extrem hell und es war schwierig, etwas zu sehen, besonders, wenn die Coloradosonne in deine Augen scheint. Während ich selbst auf diesem kontrollierten Streifen von fünf Meilen fuhr, kam ein Auto irgendwie durch die Absperrungen hindurch und plötzlich sehe ich dieses Auto auf mich zukommen! Ich zog nach rechts rüber und fuhr einen Hügel hoch. Ein paar Kameras fielen ab, aber waren o.k.. Das war knapp!“


Für die spektakuläre Crash-Szene am Ende des Films, in der Kowalski in die mit abgesenkten Schilden quer über die Straße stehenden Bulldozer rast, wurde spezielle Vorbereitungen getroffen. Um den Stunt aufzusetzen, wurden mehrere Tage benötigt. Ein alter 1967er Camaro wurde gekauft und seines Motors und der Antriebe entledigt. Eine von Loftin in der Vergangenheit erfolgreich angewendete Zugvorrichtung wurde installiert. „Ich benutze die Vorrichtung seit langer Zeit“ erklärt Loftin "und solange du ziehst, wird das Auto immer zum Drehpunkt hin fahren. Es gab eine Kuppe auf der Straße und ich hatte dort einen Mechaniker. Ich zog das Auto und er stellte das Frontstück ein. Wir machten das einige Male bis das Auto in der Straßenmitte lief. Ich hatte 400 Meter Kabel als wir den Stunt machten. Der Streifen Straße, der zu den Bulldozern führte, ging gerade zurück, über einen leichten Hügel und dann nach links. Als ich begann zu ziehen, konnte ich den Camaro nicht sehen. Darum sagte ich dem Effektmann, er solle es in den Graben zur linken legen, so daß es eine gerade Linie bildet. Nach all den Versuchen musste ich einfach glauben, daß es funktioniert. Als ich einmal auf Tempo war, kam ich mit gut 80 mph (130 km/h) beim Zusammenstoß die Straße gerade herunter.“
 
„Mit ausgebautem Motor und Getriebe waren wir darauf vorbereitet, daß das Auto sich hochkant überschlagen würde, aber es steckte in den Bulldozern, was ein besserer Effekt war. Der Effektmann belud das Vorderteil des Camaro mit Sprengstoff, der beim Zusammenstoß hochgehen sollte und wenn ich die Kontrolle verloren hätte und in den Graben gefahren und etwas wirklich hartes getroffen hätte, wäre es dort explodiert. Der Regisseur setzte die Bulldozer etwa fünf bis sechs Zoll auseinander, gerade genug, um mein Kabel durchzulassen. Er fragte mich, wann der Punkt sei, an dem es kein Stop mehr gäbe und ich sagte 'ungefähr zwei Sekunden, nachdem Sie >Action!< sagen'. Wenn ich einmal fahre, gibt es kein Stop mehr. Ich habe nichts, um den Camaro zu stoppen, als diese Bulldozer! Wir zogen den Camaro mit dem fünften Auto, dem 383er Automatik. Ich benutzte diesen, weil wenn du einmal einen Gang verlierst und das Kabel durchhängt, verlierst du das Auto. Ich würde lieber einen Automatik benutzen, als den Verlust des Autos zu riskieren. Der 383er war ein gut laufendes Auto. In der Tat lief es fast so gut wie jene 440er.


Was nach den Filmaufnahmen zu Vanishing Point geschah, war ebenso interessant wie die Dreharbeiten selbst. Newman erzählt, daß ein Teil des Film weggeschnitten wurde, was den Film von 107 auf 99 Minuten kürzte. „Da gab es eine wundervolle Szene, wo Kowalski das Auto anhält und eine Anhalterin, gespielt von Charlotte Rampling, aufsammelt. Das Mädchen, in schwarz gekleidet und umhüllt von Nebel, trägt ein Schild mit der Aufschrift 'San Francisco'. Er nimmt sie mit. Sie steigt ein und fragt ihn: 'Was bist du?'. Er antwortet: 'Ein Autoagentur-Fahrer.' Sie sagt: 'Nein, welches Zeichen bist du?' Sie reden und es endet damit, daß sie die Nacht zusammen in der Wüste verbringen. Plötzlich sagt sie: 'Geh nicht nach San Francisco.' und verschwindet. Sie war das Symbol des Todes. Das war eine interessante Szene weil sie dem Film wirklich einen sinnbildlichen Schub gab und alles erklärt. Ich war in Salzburg und drehte die „Salzburg Connection“ während sie Vanishing Point schnitten und erhielt einen Anruf von meinem Agenten aus New York. Er hatte gerade ein Screening von Vanishing Point gesehen und sagte, sie würden es zerschneiden und es wie ein B-Movie aussehen lassen. Sie schnitten die Rampling Szene heraus weil sie fürchteten, das Publikum würde nicht verstehen, was dem Mädchen im Auto passiert; warum sie plötzlich nicht mehr da war. Das war ihre Erklärung.“
 
In seiner endgültigen Form hat Vanishing Point wenig mit dem Screenplay von Guillermo Cain zu tun, welches lose auf zwei tatsächlichen Ereignissen beruhte. Der Film wurde ohne die Rampling Szenen veröffentlicht und die 107 Minuten-Version wurde nie gezeigt. Vanishing Point hatte Ende Januar 1971 in einem bearbeiteten Zustand Premiere, der kaum Ähnlichkeit mit der Originalversion hatte. Newman erinnerte sich: „20th Century Fox glaubte nicht an den Film. “Daher kippten sie den Film als Mehrfach-Veröffentlichung in zweitrangige Kinos und nach zwei Wochen war er wieder verschwunden.“ Vanishing Point kam dann nach London, wo es der größte Kassenschlager des Jahrzehnts in Britannien wurde. Wegen der immensen Popularität von Vanishing Point in Britannien und Europa wurde es zu einem „Hintertür-Klassiker“ und kehrte in die amerikanischen Kinos auf einer Doppeleintrittskarte mit "French Connection" zurück. Dank der enormen Popularität von French Connection spielte Vanishing Point für ein empfängliches amerikanisches Publikum. Der dem folgende Kult begann zu wachsen, angetrieben durch die Ausstrahlung über das TV-Netzwerk im Jahre 1976.


Was Newman erstaunt, ist, daß obwohl Vanishing Point in Amerika seit fast zehn Jahren nicht mehr ausgestrahlt wurde, „Typen immer noch neben mir stehen, wenn ich im Auto sitze und sagen: 'He, Vanishing Point-Mann!' und zeigen mit ihren Daumen nach oben. Es ist erstaunlich!“ Warum wurde Vanishing Point zu einem Kultklassiker? „Zu der Zeit, als er gemacht wurde,“ erklärt Newman, „lebten wir noch in den Sechzigern, mit dem Individuum gegen die Institutionen, das Establishment. "Das Individuum, der Einsame, der Antiheld waren damals sehr, sehr populär und es war sehr bewegend, als sich der Typ selbst umbrachte. Als er starb, blieb das in den Leuten drin. Sie kamen zurück und sahen den Film wieder und wieder. Ich war mir der Eindringlichkeit des Films nie bewußt, als ich ihn drehte.“" Newman spielte Kowalski als „einen Mann, der zuvor gescheitert war. Und das ist das Sinnbildliche in diesem Film, daß Kowalski durch diese Bulldozer wollte. Er lächelt, als er am Ende des Films in seinen Tod rauscht, weil er glaubt, daß er es schaffen kann. Aber das ist die Grundlage für einen existentiellen Film. Dem Helden ist es bestimmt, zu sterben und du weißt daß er nicht leben wird, wenn er startet. Der Titel Vanishing Point war nicht wegen des Zusammenstoßes mit den Bulldozern gemeint. Zu Beginn des Films begegnen sich der Challenger und ein schwarzer Chrysler und der Challenger verschwindet und er liefert das schwarze nach Denver. Es repräsentiert Kowalskis Punkt ohne Wiederkehr (Vanishing Point). Es war sein Fluchtpunkt; es war seine letzte Fahrt